Es gilt das gesprochene Wort.
Rede von Ender Engin in der vergangenen Sitzung des Ludwigsburger Kreistages am 18. Juli 2025:
Lieber Herr Landrat,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger,
Vertreter der Verwaltung sowie der Presse:
Heute entscheiden wir über zwei Papiere, die vor Ehrgeiz nur so strotzen – klimaneutraler Landkreis 2040 und minus 40 Prozent Verkehrsemissionen bis 2030. Die FDP möchte heute nicht der Spielverderber sein, aber wir wollen diejenigen sein, die fragen: „Zu welchem Preis, für wen – und: klappt das überhaupt?“
Während andere sich in diesem Alter auf die Straße kleben und lautstark Veränderung fordern, stand ich mit 19 Jahren in Süditalien auf einem zehn Hektar großen Feld und errichtete spezielle Gewächshäuser mit Solarmodulen auf dem Dach. Den erzeugten Strom speisten wir direkt in eigens entwickelte LED-Leuchten und züchteten Tomaten in mehreren Etagen – echtes Agri-PV, lange bevor der Begriff in Baden-Württemberg überhaupt bekannt war. Für uns war es einfach nur eine „Gemüsehalle“. Heute nennt man das „vertical farming“. Mein Einstieg in das Thema kam also früh, und ich weiß ganz genau, was passiert, wenn theoretische Konzepte plötzlich auf echten Boden, echte Genehmigungen und echte Fachkräfte treffen. Genau diese Erdung vermissen wir hier noch immer.
18 Jahre später, vorgestern in der Fraktionssitzung: Wir hören das kernige Röhren einer Benzinmotorsäge – beauftragt vom Landratsamt. Kein Akku-Tool, kein Öko-Label, sondern ehrliche Oktanzahl. Warum? Na weil der Landschaftsgärtner sie braucht, um zuverlässig zu arbeiten. Und das ist mein erstes Warnschild: Regulieren wir uns nicht in Rage. Wenn wir dem aktuellen Trend folgen, wird bald jede Ausschreibung verlangen, dass Handwerker ausschließlich zertifizierte Akkugeräte einsetzen, geladen mit nachweislich grünem Strom. Dazu: Lieferketten und Rückverfolgungszertifikate, CO₂-Fußabdruck-Formulare, Umweltkonzepte für jede Baustelle, Abfallnachweise, und teure Sonderprodukte mit exotischen Öko-Siegeln. Das sind keine „Erziehungsmaßnahmen“, das sind handfeste Gründe, einen Betrieb im schlimmsten Fall zu schließen. Schneiden wir unsere regionalen Handwerker vom Auftragsmarkt ab, fällt am Ende der Ast, auf dem wir alle sitzen.
Das Klimaschutzkonzept hat sehr gute Elemente: digitale Transparenz, Photovoltaik-Potenziale, Wärmewende. Das Startbudget liegt bei 1,6 Mio. € – damit bezahlen wir Gutachten und das Dashboard, aber keine einzige Wärmepumpe und keinen Meter Straße. Die SWLB allein braucht über eine Milliarde Euro für ihre Fernwärmestrategie. Wer baut das? Wer bezahlt das? Wir sagen: Ja, es braucht einen Plan. Aber erst, wenn wir Kosten, Fachkräfte und Stromquellen sauber beziffert haben.
Nun zum großen Knackpunkt: Der sogenannte „Klimamobilitätsplan“. Oder in Fachkreisen auch genannt: Auto-Exit-Strategie.
Er fordert zum Beispiel:
• flächendeckende Parkraumbewirtschaftung selbst in Orten ohne Parknot,
• Reduktion oder gar Streichung von Stellplatzschlüssel
• Autoarme oder gar- freie Quartiere
• Abbau von Stellplätzen und Kfz-Zufahrten in Innenstädten,
• eine unmissverständliche Loyalitätserklärung des Landrats gegenüber diesem Kurs – fast wie ein Glaubensbekenntnis.
• Bestrafungs- und Belohnungsmodelle für Umweltpunkte.
• Pflichten und Verbote
Das Dokument behandelt das Auto wie ein Auslaufmodell, nicht wie ein integrales Verkehrsmittel für Pendler, Handwerker, Pflegekräfte oder Familien. Wir fragen: Wo bleibt die Technologieoffenheit? Wo bleibt die Ehrlichkeit, dass 75 % Landesförderung immer noch 25 % Eigenanteil plus Betriebskosten bedeuten? Der Mobilitätsplan gefährdet aus unser Sicht regionale Wirtschaftskraft und soziale Teilhabe. Zu viel Ideologie, zu wenig Augenmaß – genau darum halten wir diesen Plan für einen Verkehrsverhinderungsplan, nicht für einen realistischen Mobilitätsfahrplan.
Wir haben unter anderem vier Baustellen, die niemand lösen will:
1. Fachkräftemangel – Wer soll denn 1 000 Projekte bauen, wenn wir heute schon keine Busfahrer und Tiefbauer finden? Oder haben Sie, Lieber Herr Landrat auch eine Software die Jahre später plötzliche Tausende Arbeitskräfte herzaubert?
2. Energierealität – Digitalisierung, Wärmepumpen, KI und E-Autos saugen Strom, während wir Grundlastkraftwerke abschalten. Aktuell ist der Gesamtstrombedarf überschaubar – aber auch nur weil die Industrie aufgrund Standortnachteile abwandert. Wenn niemand produziert, verbraucht auch niemand Strom. Gegenteiliges müsste aber unser aller primäres Ziel sein! Und dann: Hinkt der Netzausbau aber um Jahre hinterher.
3. Flächenkonflikte – Der Boden, auf dem wir Lebensmittel erzeugen, ist absolut schützenswert. Freiflächen-PV-Anlagen, die Ackerland, auch noch in Stadtnähe, dauerhaft versiegeln oder brachlegen, sind ein Unding. Echte Agri-PV ist: Wenn das Land produktiv bleibt und gleichzeitig sauberer Strom entsteht. Bloß weil solche Lösungen technisch aufwendiger sind, sind sie nicht weniger nachhaltig – im Gegenteil: Sie schonen den Boden, sichern regionale Lebensmittel und erzeugen Energie auf derselben Fläche. Vorrang für Doppelnutzungs-Konzepte statt wahlloser Überbauung wertvoller Äcker. Nur so lösen wir die Energie- und Flächenfrage, ohne unsere Landwirtschaft zu kannibalisieren. Und all dies erst dann: Wenn jedes Dach in jeder Stadt eine PV – Anlage bekommen hat.
4. Globale Wirkung – „Deutschland hat nur rund ein Prozent der Weltbevölkerung, verursacht aber rund zwei Prozent der globalen CO₂-Emissionen. Wenn wir morgen früh komplett klimaneutral wären, gäbe es keine einzige Naturkatastrophe weniger“. Und bevor Sie jetzt Ihre Tablets nach mir werfen: Die Aussage ist nicht von mir - sondern von Friedrich Merz. Wenn unser Landkreis morgen früh null Emissionen hätte, änderte das an den globalen CO₂-Kurven messbar gar nichts – wir lägen bei gerade einmal 0,009 % der Weltbilanz.
Fazit: Ökologische Vorreiterrolle ja – aber nicht um den Preis. Es kann nicht sein, dass wir uns wirtschaftlich selbst ausknocken, und um Krümel kämpfen… während die Welt den Kuchen weiterbackt. Ökologie und Ökonomie sind keine Gegensätze, sondern ein echter Standortvorteil, wenn wir sie richtig einsetzen. Vorallem – wenn wir auf Innovation statt Verbote setzen. Unser Blick muss deshalb konsequent auf Lösungen wie Kreislaufwirtschaft 2.0, eFuels, Vertical Farming, High-End-Recycling und CO₂-Wertschöpfung liegen. Genau dort entsteht das Wachstum, das Klima und Wohlstand zugleich stärkt.
Unsere Forderungen
Wir fordern Pragmatismus statt Dogma
1. Das Klimaschutzkonzept: Wäre eigentlich nur zum Beschließen, wenn gleichzeitig ein Finanz-, Personal- und Prioritätenplan vorliegt.
2. Der Mobilitätsplan: Müsste sofort zurück in die Werkstatt – maximal 30 Top-Maßnahmen, technologieoffen und ebenfalls kostenhinterlegt.
3. Ausstiegsmöglichkeiten für Kommunen: Jede Stadt darf Nein sagen, wenn Maßnahmen ihre Innenstadt strangulieren. Hier ein frisches Beispiel aus Kornwestheim: Das Kreispapier sagt: Fußgängerzone in der Innenstadt. Der Gemeinderat antworte klar und deutlich: nein!
4. Ziel 2040 ehrlich prüfen: Wenn die Rechnung mit Menschen, Geld und Energie nicht aufgeht, verschieben wir. Lieber fünf Jahre später als fünf Pleiten mehr.
5. Keine Ausschreibungs-Hürden, die lokale Handwerker ausschließen. Nachhaltigkeit ja, Handwerker-Harakiri nein.